Private Renten führen nicht zur Doppelbesteuerung
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einer zweiten Entscheidung vom 19.05.2021 (X R 20/19) zahlreiche weitere Streitfragen zum Problem der sog. Doppelbesteuerung von Renten geklärt. Er hat nicht nur über die Behandlung von Leistungen aus der freiwilligen Höherversicherung zur gesetzlichen Altersrente und Fragen der sog. Öffnungsklausel entschieden.
Er hat auch klargestellt, dass es bei Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten außerhalb der Basisversorgung (kurz: privaten Renten), die – anders als gesetzliche Altersrenten – lediglich mit dem jeweiligen Ertragsanteil besteuert werden, systembedingt keine Doppelbesteuerung geben kann.
Zudem hat er entschieden, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers gehören, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente. Die Revision der Kläger, die eine doppelte Besteuerung eines Teils der bezogenen Renten beanstandet hatten, blieb ohne Erfolg.
PM 020/2021 zu BFH-Urteil vom 19.05.2021 – X R 20/19
Worum ging es in dem entschiedenen Sachverhalt?
Der Kläger war als Zahnarzt Pflichtmitglied eines berufsständischen Versorgungswerks, blieb allerdings freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Er erhielt im Streitjahr 2009 von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Altersrente und Zusatzleistungen aus der dortigen Höherversicherung. Zudem bezog er mehrere „Rürup“-Renten, ebenso zahlreiche Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten.
Das Finanzamt setzte für die gesetzliche Altersrente einschließlich der Leistungen der Höherversicherung den sich nach der gesetzlichen Übergangsregelung ergebenden Besteuerungsanteil von 58 % an. 42% der ausgezahlten Rente blieben steuerfrei. Im Hinblick auf die hohen Beitragsleistungen des Klägers in zwei Versorgungssysteme wandte das Finanzamt die sog. Öffnungsklausel an. Diese ermöglicht es, in bestimmten Konstellationen die Rente zumindest teilweise mit dem günstigeren Ertragsanteil zu versteuern:
- Die „Rürup“-Renten des Klägers brachte das Finanzamt mit dem Besteuerungsanteil,
- die sonstigen privaten Leibrenten – wie vom Gesetz vorgesehen – mit dem Ertragsanteil in Ansatz.
Das Finanzgericht wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Kläger hielten die Entscheidung der Vorinstanz aus mehreren Gründen für unzutreffend. Sie meinten die gesetzliche Altersrente, eine der „Rürup“-Renten und diverse Renten aus privaten Versicherungen würden unzulässigerweise doppelt besteuert, weil nach ihren Berechnungen die aus versteuertem Einkommen erbrachten Beiträge höher seien als der steuerfreie Teil der zu erwartenden Rentenzahlungen.
BFH argumentiert wie folgt und weist die Klage mit Urteil X R 20/19 vom 19.05.2019 ab
Dagegen teilte der BFH die Auffassung der Kläger, dass die gesetzliche Öffnungsklausel, die bei überobligatorisch hohen Einzahlungen in ein Altersvorsorgesystem der Gefahr einer doppelten Besteuerung von Renten vorbeugen soll, nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur auf Antrag des Steuerpflichtigen anwendbar ist. Sie hätte danach im Streitfall keine Anwendung finden dürfen, weil die Kläger keinen entsprechenden Antrag gestellt hatten. Trotzdem blieb ihre Revision auch in diesem Punkt ohne Erfolg, denn die unzutreffende Anwendung der Öffnungsklausel verletzte die Kläger nicht in ihren Rechten. Die ihnen durch die Anwendung der Öffnungsklausel zu Unrecht gewährte Entlastung fiel nämlich höher aus als der Betrag, der ohne Geltung der Öffnungsklausel für das Streitjahr als doppelt besteuert anzusehen wäre. Die Frage, ob Steuerpflichtige, die bewusst keinen Antrag auf Anwendung der gesetzlichen Öffnungsklausel zur niedrigeren Besteuerung ihrer Altersrente stellen, überhaupt eine doppelte Besteuerung rügen können, musste daher offen bleiben.
Der BFH stellte zudem klar, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente zu rechnen sind. Im Streitfall war daher auch der steuerfrei bleibende Teil einer späteren – bei statistischer Betrachtung wahrscheinlichen – Witwenrente der Klägerin zu berücksichtigen.
Regelmäßige Anpassungen einer der Basisversorgung dienenden gesetzlichen oder „Rürup“-Rente sind nach Auffassung des BFH auch in der Übergangsphase in voller Höhe und nicht – wie von den Kläger begehrt – mit dem geringeren individuellen Besteuerungsanteil zu berücksichtigen. Der BFH bestätigte insoweit seine bisherige Rechtsprechung.
Hinsichtlich der streitigen Renten des Klägers aus privaten Kapitalanlageprodukten außerhalb der Basisversorgung konnte der BFH keine doppelte Besteuerung feststellen. Die für diese Renten geltende Ertragsanteilsbesteuerung kann nach Ansicht des X. Senats bereits systematisch keine doppelte Besteuerung hervorrufen, weil der durch das Gesetz festgelegte Ertragsanteil in zulässiger Weise die Verzinsung der Kapitalrückzahlung für die gesamte Dauer des Rentenbezugs typisiert. Diese Art der Besteuerung verlangt nicht, dass die Beitragszahlungen in der Ansparphase steuerfrei gestellt werden.
Zusammenfassung der Rechtsauffassung des BFH zur Rentenbesteuerung in Leitsätzen
- Steigerungsbeträge aus der Höherversicherung der gesetzlichen Rentenversicherung sind als akzessorische Zusatzleistungen einer gesetzlichen Altersrente der Basisversorgung („erste Schicht“) anzusehen und unterliegen daher der nachgelagerten Besteuerung.
- Die Öffnungsklausel für eine zumindest teilweise Ertragsanteilsbesteuerung von Basisversorgungsrenten ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 Halbsatz 1 EStG nur auf Antrag des Steuerpflichtigen und nicht von Amts wegen anzuwenden.
- Regelmäßige Rentenanpassungen sind nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden gesetzlichen Anordnung auch in der für Renteneintrittsjahrgänge bis einschließlich 2039 geltenden Übergangsphase nicht nur mit dem individuellen Besteuerungsanteil, sondern in voller Höhe zu besteuern (Anschluss an Senatsurteil vom 26.11.2008 – X R 15/07, BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710).
- Bei den nur mit dem Ertragsanteil zu besteuernden Renten aus privaten Versicherungsverträgen außerhalb der Basisversorgung kann gegen das Verbot der doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und späteren Alterseinkünften bereits aus systematischen Erwägungen nicht verstoßen werden.
- Die Überschussbeteiligung aus einer privaten Leibrentenversicherung ist einheitlich mit der garantierten Rente mit dem gesetzlichen Ertragsanteil zu besteuern.
Fazit und Leseempfehlung
2005 wurde die steuerliche Behandlung von Renten reformiert. Die Regelungen im Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) stehen seither in der Kritik: Sie führen möglicherweise zu einer Doppelbesteuerung der Renten zukünftiger Rentnergenerationen. Der Bundesfinanzhof hatte nun erneut in zwei Einzelfällen geprüft, ob das Gesetz gegen die Verfassung verstößt. Lesen Sie auch unseren Beitrag zu dem ersten Verfahren X R 33/19 vom 19.05.2021. Auch hier hat der BFH die Klage zwar abgewiesen, aber er zeigt das Risiko der Doppelbesteuerung von Renten künftiger Rentnergenerationen auf. Außerdem hat er in diesem Verfahren erstmals Berechnungsparameter festgelegt, anhand derer eine mögliche Doppelbesteuerung von Renten berechnet werden kann. Um die Hintergründe zu der aktuellen Rechtsprechung zu verstehen, ist die Beitragsreihe des Deutschlandfunks gut geeignet, die Sie z.B. hierüber bzw. über das Stichwort „Renten-Doppelbesteuerung finden.
Bildnachweise und Literaturhinweise:
Bild von Alexander Kliem auf Pixabay
„Doppelte Besteuerung der gesetzlichen und privaten Altersversorgung“ – BFH Urteil vom 19.05.2021 – X R 20/19, PM Nr. 020/21 v. 31.05.2021, NWB Online Nachricht vom 04.06.2021
„Rentenbesteuerung erneut vor Gericht“ von Dr. Klaus Schindler und Heinrich Braun in diversen NWB-Aufsätzen aus 2020 und 2021