Renten: BFH sieht Risiko der Doppelbesteuerung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erneut in zwei Einzelfällen die Doppelbesteuerung von Renten geprüft. In diesem ersten Beitrag befassen wir uns mit dem Verfahren X R 33/19 vom 19.05.2021, dass sich erstmals mit den Berechnungsparametern zur Ermittlung einer möglichen Doppelbesteuerung von Renten befasst. Denn der BFH geht durchaus von dem Risiko einer doppelten Besteuerung künftiger Rentnergenerationen aus, auch wenn er in beiden Fällen diese verneint und die Klagen abweist. Im Verfahren X R 20/19, ebenfalls vom 29.05.2021, das wir in einem weiteren Beitrag behandelt, schließt der BFH die Doppelbesteuerung von privaten Renten aus. Der besondere Wert dieses Urteils besteht sicherlich darin, dass er Details der Rentenbesteuerung beleuchtet.

BFH legt erstmals Berechnungsparameter fest und zeigt Risiko der Doppelbesteuerung von Renten künftiger Rentnergenerationen auf

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 19.05.2021 – X R 33/19 erstmals genaue Berechnungsparameter für die Ermittlung einer Doppelbesteuerung von Renten festgelegt. Zwar hatte die Revision des Klägers – der eine seit dem Jahr 2007 laufende Rente mit entsprechend hohem Rentenfreibetrag bezieht – keinen Erfolg. Allerdings ergibt sich auf der Grundlage der Berechnungsvorgaben des BFH, dass spätere Rentnerjahrgänge von einer Doppelbesteuerung ihrer Renten betroffen sein dürften. Dies folgt daraus, dass der für jeden neuen Rentnerjahrgang geltende Rentenfreibetrag mit jedem Jahr kleiner wird. Er dürfte daher künftig rechnerisch in vielen Fällen nicht mehr ausreichen, um die aus versteuertem Einkommen geleisteten Teile der Rentenversicherungsbeiträge zu kompensieren

PM Nr. 01/21 vom 31.05.2021 zu BFH-Urteil vom 19.05.2021 – X R 33/19

Worum ging es in dem entschiedenen Sachverhalt?

Im Streitfall war der Kläger während seiner aktiven Erwerbstätigkeit überwiegend selbständig als Steuerberater tätig. Auf seinen Antrag hin war er in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Er zahlte seine Rentenbeiträge größtenteils aus eigenem Einkommen. Dabei konnte er diese Aufwendungen nur begrenzt als Sonderausgaben abziehen, also nur zum Teil „steuerlich absetzen“. Seit 2007 erhält der Kläger eine Altersrente. Im vorliegenden Verfahren wandte er sich gegen deren Besteuerung im Jahr 2008. Das Finanzamt hatte – entsprechend der gesetzlichen Übergangsregelung – 46 % der ausgezahlten Rente als steuerfrei behandelt und die verbleibenden 54 % der Einkommensteuer unterworfen. Der Kläger hat eine eigene Berechnung vorgelegt, nach der er rechnerisch deutlich mehr als 46 % seiner Rentenversicherungsbeiträge aus seinem bereits versteuerten Einkommen geleistet hat. Nach seiner Auffassung liegt deshalb eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung von Renten vor. Das Finanzgericht sah dies anders und wies die Klage ab.

BFH sieht aktuell keine Doppelbesteuerung der Renten

Auch der BFH ist der Auffassung des Klägers nicht gefolgt. Vielmehr hält er an seiner bisherigen, vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigten Rechtsprechung zur Rentenbesteuerung fest. Nach der sind sowohl der mit dem Alterseinkünftegesetz eingeleitete Systemwechsel zur nachgelagerten Besteuerung von Altersbezügen als auch die gesetzlichen Übergangsregelungen im Grundsatz verfassungskonform.

Er stellt aber auch klar, dass es im konkreten Einzelfall nicht zu einer Doppelbesteuerung von Renten kommen darf. Eine solche Doppelbesteuerung wird vermieden, wenn die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse (kurz: steuerfreier Rentenbezug) mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus dem bereits versteuerten Einkommen aufgebrachten Rentenversicherungsbeiträge.

Der Auffassung der Kläger, nach der die zwischen der früheren Beitragszahlung und dem heutigen bzw. künftigen Rentenbezug eintretende Geldentwertung im Rahmen der Berechnung zu berücksichtigen sei, folgte der Senat hingegen nicht. Für eine solche Abweichung vom sog. Nominalwertprinzip sah er weder im Einkommensteuerrecht noch im Verfassungsrecht eine Grundlage.

Infolgedessen können Wertsteigerungen der Renten – unabhängig davon, ob sie inflationsbedingt sind oder eine reale Erhöhung darstellen – durchaus besteuert werden.

Erstmals Festlegung konkreter Berechnungsparameter für die Ermittlung einer etwaigen Doppelbesteuerung von Renten

Erstmals hat der X. Senat jetzt konkrete Berechnungsparameter für die Ermittlung einer etwaigen Doppelbesteuerung von Renten festgelegt. Dabei hat er klargestellt, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente zu rechnen sind.

Alle anderen Beträge, die die Finanzverwaltung ebenfalls als „steuerfreien Rentenbezug“ in die Vergleichsrechnung einbeziehen möchte, bleiben allerdings nach Auffassung des BFH unberücksichtigt. Sie dienen anderen – überwiegend verfassungsrechtlich gebotenen und daher für den Gesetzgeber nicht dispositiven – Zwecken und können daher nicht nochmals herangezogen werden, um eine doppelte Besteuerung von Renten rechnerisch zu vermeiden. Damit bleibt insbesondere auch der sog. Grundfreibetrag bei der Berechnung des „steuerfreien Rentenbezugs“ unberücksichtigt. Denn dieser soll das steuerliche Existenzminimum jedes Steuerpflichtigen sichern. Für die Ermittlung des aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Teils der Rentenversicherungsbeiträge hat der X. Senat ebenfalls konkrete Berechnungsparameter formuliert.

Bei Anwendung dieser Berechnungsgrundsätze konnte die Revision der Kläger keinen Erfolg haben. Angesichts des noch recht hohen Rentenfreibetrags von 46 % der Rentenbezüge des Klägers ergab sich keine doppelte Besteuerung. Diese zeichnet sich allerdings für spätere Rentnerjahrgänge ab. Für diese wird der Rentenfreibetrag nach der gesetzlichen Übergangsregelung immer weiter abgeschmolzen. Denn auch diese Rentnerjahrgänge haben erhebliche Teile ihrer Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen geleistet.

Hintergrund: Kritik am Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) ab dem Jahr 2005

Das Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) ist am 01.01.2005 in Kraft getreten. Die neuen Regelungen stehen seither in der Kritik: Sie führen möglicherweise zu einer Doppelbesteuerung der Renten zukünftiger Rentnergenerationen. Mit dem Alterseinkünftegesetz hatte der Gesetzgeber den vom BVerfG geforderten Übergang auf eine nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften ab dem Jahr 2005 eingeleitet. Dabei wurde die einkommensteuerliche Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen einerseits und die Besteuerung der Rentenzahlungen andererseits neu geregelt (nachgelagerte Besteuerung). Seit 2005 steigt der Besteuerungsanteil schrittweise von zunächst 50 % auf 100 % (im Jahr 2040) an. Im Gegenzug ist ein Steuerabzug auf Altersvorsorgeaufwendungen in zunehmend größerem Umfang möglich.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte den Gesetzgeber bereits 2002 aufgefordert, die steuerliche Behandlung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird (Urteil vom 06.03.2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73).

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH – X R 44/14) ist eine Doppelbesteuerung dann anzunehmen, wenn die einem Steuerpflichtigen voraussichtlich steuerunbelastet zufließenden Rententeilbeträge geringer sind als die von ihm aus versteuertem Einkommen bezahlten Altersvorsorgeaufwendungen. Details der Berechnung sind bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt; in zwei beim BFH anhängigen Verfahren (X R 20/19 und X R 33/19) wurde im Mai 2021 Jahres mündlich verhandelt. Die „Beweislast“ für eine Doppelbesteuerung wird übrigens bei dem Rentner selbst gesehen. Dies hatte die OFD NRW in einem Schreiben vom 14.07.2020 mit Hinweis auf die ältere Rechtsprechung des BFH klargestellt.

Medieninformation I/2021 FG Saarland zu Az. 3 V 1023/21 vom 30.04.2021

Auch dem FG Saarland lagen zwei weitere Verfahren zur Entscheidung vor. Auch im Verfahren 3 K 1072/20 (noch offen) wendet sich der Kläger gegen die Besteuerung seiner gesetzlichen Altersrente. Die Haltung des Gerichts in diesem Fall dürfte sich nun an der Entscheidung des BFH orientieren. Im anderen Verfahren 3 V 1023/21 hatte im Januar 2021 eine Rentnerin einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) beim Finanzgericht eingereicht, nachdem das Finanzamt ihrem Aussetzungsantrag im Einspruchsverfahren sofort ohne jede Begründung abgelehnt hatte. Das Gericht hält es zwar grundsätzlich ebenfalls für möglich, dass es zu einer sog. „Doppelbesteuerung von Renten“ kommen kann. Im Streitfall hat es im Rahmen einer summarischen Prüfung aber entschieden, dass die Antragstellerin eine Doppelbesteuerung nicht dargelegt hat (Entscheidung vom 29. April 2021, Geschäftszeichen: 3 V 1023/21, bekannt gegeben am 30.04.2021).

Zusammenfassung und Leseempfehlung

Seit Einführung des Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) im Jahr 2005 steht die Besteuerung der Renten in der Kritik. Der BFH hat nun also erneut – wie in einigen Verfahren zuvor – die Verfassungsmäßigkeit der Regelung bestätigt. In beiden Verfahren ( X R 20/19 und X R 33/19) hat der BFH dem Begehren der Steuerpflichtigen nicht stattgegeben, jedoch erstmals durch die Festlegung geeigneter Berechnungsgrundlagen eine „drohende doppelte Besteuerung künftiger Rentnergenerationen“ aufgezeigt. In dem BFH-Verfahren X R 20/19 ging es um private Rentenversicherungen eines Zahnarztes, in dem BFH-Verfahren X R 33/19 um einen Steuerberater, der auch Einzahlungen in ein Versorgungswerk erbracht hatte. Während sich der BFH im ersten Verfahren X R 33/19 mit der Berechnungsmethode befasste und das Risiko einer doppelten Besteuerung künftiger Rentengenerationen erkannte, sieht er dies im zweiten Verfahren X R 20/19 nicht: „Bei privaten Renten kann es systembedingt nicht zu einer doppelten Besteuerung kommen“. Zu diesem Verfahren möchten wir auf unseren 2. Beitrag hinweisen.

Auch diese Beitragsreihe des Deutschlandfunks dürfte interessant sein: „Was bedeutet das Urteil zur Rentenbesteuerung?“ – DLF-Beitrag vom 02.06.2021

Bildnachweise und Literaturhinweise:

Bild von pasja1000 auf Pixabay

„Ermittlung der Höhe des Betrags einer etwaigen doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen “ – BFH Urteil vom 19.05.2021 – X R 33/19, PM Nr. 019/21 v. 31.05.2021, NWB Online Nachricht vom 04.06.2021

„Kein hinreichender Nachweis für behauptete Doppelbesteuerung einer gesetzlichen Rente trotz Berufung auf Formeln eines Mathematikers“ – FG Saarland vom 29.04.2021 – Az. 3 V 1023/21, Medieninformation I/2021 vom 30.04.2021, NWB Online Nachricht vom 03.05.2021

„Rentenbesteuerung erneut vor Gericht“ von Dr. Klaus Schindler und Heinrich Braun in diversen NWB-Aufsätzen aus 2020 und 2021

OFD NRW vom 14.07.2020 zur „Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen; Doppelbesteuerung von Renteneinkünften“