Entlastungsbetrag für Alleinerziehende im Jahr der Trennung oder Heirat
Zur Begründung führt das Gericht aus, dass die Ehegatten aufgrund der gewählten Zusammenveranlagung, die rückwirkend für den gesamten Veranlagungszeitraum gilt, nicht mehr als „alleinstehend“ im Sinne des Gesetzes gelten und ihnen folglich auch für den Zeitraum Januar bis November kein ermäßigter Entlastungsbetrag für Alleinerziehende mehr zusteht.
Erstes Urteil: FG MÜNCHEN, URTEIL V. 27.11.2019 – 9 K3275/18
Wie war der Sachverhalt?
Die seit 17. Dezember 2015 miteinander verheirateten Kläger leben Angabe gemäß erst seit der Eheschließung gemeinsam im Haushalt des Klägers in M. Der Sohn P des Klägers (geb. 17. Februar 1993) war ganzjährig dort, die Tochter V der Klägerin (geb. 12. Juli 1995) war bis 17. Dezember 2015 im bisherigen Alleinhaushalt der Klägerin in W gemeldet.
In der Einkommensteuererklärung des Streitjahres beantragten die Kläger Zusammenveranlagung und machten für die vorgenannten Kinder jeweils den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende geltend, den das beklagte Finanzamt im Einkommensteuerbescheid vom 2. Januar 2017 versagte.
Zur Begründung des hiergegen gerichteten Einspruchs trugen die Kläger vor, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingtarifs erst ab der Eheschließung sowie dem gleichzeitig erfolgten Zuzug der Klägerin und damit in keinem vollen Monat des Streitjahres vorgelegen hätten.
Das Finanzamt wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 14. November 2018 als unbegründet zurück. Durch Wahl der Zusammenveranlagung würden die seit 17. Dezember 2015 verheirateten Kläger die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens erfüllen. Sie seien daher nicht mehr als alleinstehend anzuerkennen. Im Ergebnis teilte das Gericht diese Rechtsauffassung.
Es konnte sich erwartungsgemäß nicht der Begründung der Eheleute anschließen. Diese hatten vorgetragen, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes (§ 26 Abs. 1 EStG) die Zusammenveranlagung nur für Ehegatten und damit im Streitfall mangels Eheschließung nicht für Zeiträume vor dem 17. Dezember 2015 gelten könne. Hätte der Gesetzgeber den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende in solchen Fällen ausschließen wollen, hätte er in § 24b Abs. 4 EStG keine monatsweise Betrachtung, sondern, wie in § 26 Abs. 1 EStG, eine jahresbezogene Formulierung gewählt. Für die monatsweise Betrachtung spreche ferner, dass der Gesetzgeber die Negativvoraussetzungen, nämlich „Anwendung des Splitting-Verfahrens“ und „Haushaltsgemeinschaft mit einer volljährigen Person“ gleichwertig nebeneinandergestellt habe, die Finanzverwaltung jedoch nur im Falle des Bestehens einer Haushaltsgemeinschaft mit einer volljährigen Person eine monatsweise Betrachtung i.S.d. § 24b Abs. 4 EStG anwenden wolle.
Welche Entscheidungsgründe waren ausschlaggebend?
Voraussetzung für die Gewährung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende (§ 24b EStG) ist, dass der Arbeitnehmer alleinstehend ist und zu seinem Haushalt mindestens ein Kind gehört, für das Anspruch auf Kindergeld bzw. kindbedingte Freibeträge besteht und das bei ihm mit Haupt- oder Nebenwohnung gemeldet ist. Außerdem darf keine Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person bestehen, für die kein Anspruch auf einen Kinderfreibeträge oder Kindergeld zusteht. Eine Haushaltsgemeinschaft mit einem minderjährigen Kind ist immer unschädlich.
Unbeschränkt einkommensteuerpflichtige und nicht dauernd getrenntlebende Ehegatten, bei denen diese Voraussetzungen zu Beginn des Veranlagungszeitraums vorgelegen haben oder, wie im Streitfall, im Laufe des Veranlagungszeitraums eingetreten sind, haben nach § 26 Abs. 1 EStG das Recht zur Wahl der Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) oder der getrennten Veranlagung (§ 26a EStG).
Nach Auffassung der Verwaltung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 23. Oktober 2017 IV C 8-S. 2265-a/14/10005, BStBl I 2017, 1432, Rz. 5, 25) und der Kommentarliteratur (z.B. Schmidt/Loschelder EStG, § 24b Rz. 17) kommt es für die Frage, ob der Steuerpflichtige die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingverfahrens i.S.d. § 24b Abs. 3 Satz 1 EStG erfüllt, allein darauf an, ob er die in § 26 Abs. 1 EStG genannten Voraussetzungen zu irgendeinem Zeitpunkt im Veranlagungszeitraum erfüllt.
Unabhängig von der tatsächlichen Wahl dieser Veranlagungsart ist daher im Jahr der Eheschließung auch eine zeitanteilige Inanspruchnahme des Entlastungsbetrages nicht möglich.
Wie der Bundesfinanzhof (- BFH – Urteil vom 05. November 2015 III R 17/14, BFH/NV 2016, 548) für den Fall der – nur noch bis 2011 nach § 26c EStG möglichen – Wahl der besonderen Veranlagung für den Veranlagungszeitraum der Eheschließung entschieden hat, sind die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingverfahrens i.S.d. § 24b Abs. 3 Satz 1 EStG jedoch nicht schon dann erfüllt, wenn die Möglichkeit zur Wahl dieser Veranlagungsart bestanden hätte, sondern erst, wenn der Steuerpflichtige sie tatsächlich gewählt hat.
Das Gericht stellt im hier besprochenen Fall folgerichtig fest, dass die Ehegatten im Streitjahr die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens i.S.d. § 24b Abs. 3 Satz 1 EStG jedenfalls deshalb erfüllen, weil sie sich für die Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) entschieden haben.
Wegen der Wahl dieser Veranlagungsart werden sie so behandelt, als ob die Ehe im gesamten Streitjahr bestanden hätte. Aufgrund dieser Fiktion sind die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens nicht nur für die ab der Eheschließung, sondern für die von den Klägern im ganzen Jahr erzielten Einkünfte erfüllt. Die Kläger gelten daher unabhängig davon, dass die Ehe erst im Dezember 2015 geschlossen wurde, gemäß § 24b Abs. 3 Satz 1 EStG in keinem Kalendermonat des Streitjahres als alleinstehend mit der Folge, dass ihnen auch kein nach Maßgabe des § 24b Abs. 4 EStG ermäßigter Entlastungsbetrag zusteht.
Leitsatz 1: Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gem. § 24b EStG kann bei Wahl der Einzelveranlagung gem. § 26a EStG im Trennungsjahr nach dem Monatsprinzip (§ 24b Abs. 4 EStG) zeitanteilig für die Monate des Alleinstehens gewährt werden.
Leitsatz 2: Die Auslegung des Wortlauts des § 24b Abs. 3 S. 1 EStG, dass die ”Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens“ erst dann erfüllt sind, wenn das Wahlrecht zugunsten der Zusammenveranlagung und des Splittingverfahrens ausgeübt worden ist, beseitigt Wertungswidersprüche. Denn im Trennungsjahr haben die Steuerpflichtigen die Wahl zwischen der Zusammenveranlagung und keinem Entlastungsbetrag für Alleinerziehende und der Einzelveranlagung und einem anteiligen Entlastungsbetrag. Es kommt zu keiner Lücke bei der Gewährung des Entlastungsbetrags im Trennungsjahr. Vielmehr wird dieser genau für die Monate gewährt, in denen der Steuerpflichtige tatsächlich alleinerziehend ist.
Zweites Urteil: NIEDERSÄCHSISCHES FG, URTEIL V. 18.02.2020 – 13 K 182/19
Wie war der Sachverhalt?
Der Steuerpflichtige begehrt die Berücksichtigung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende im Jahr der Trennung von seiner damaligen Ehefrau.
Der Kläger beantragte in seiner Einkommensteuererklärung 2017 die Berücksichtigung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende in Höhe von 1.908 € + 240 € für das zweite Kind anteilig für 8 Monate, mithin in Höhe von 1.432 €.
Der Steuerpflichtige ist Vater von zwei Töchtern, die im Jahr 2006 und 2008 geboren wurden. Die damalige Ehefrau des Steuerpflichtigen und Mutter der gemeinsamen Kinder ist am 30. April 2017 aus dem gemeinsamen Haushalt ausgezogen. Beide Töchter lebten vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2017 im Haushalt des Steuerpflichtigen.
Das Finanzamt lehnte im Einspruchsverfahren die Berücksichtigung des Entlastungsbetrags nach § 24b EStG im Jahr der Trennung der Eheleute ab.
Seine Klage vom 24. Juli 2019 begründete der Steuerpflichtige damit, dass der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende zeitanteilig für den Zeitraum 1. Mai 2017 bis 31. Dezember 2017 zu gewähren sei.
Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende solle die Mehrkosten der alleinigen Haushaltsführung teilweise kompensieren. Eine unterschiedliche Behandlung und Berechnung des Entlastungsbetrages bei Ehepartnern im Fall des Auszugs des Partners, – nämlich kein, nicht einmal ein zeitanteiliger Entlastungsbetrag – und bei dem unterjährigen Auszug des weiteren Haushaltserwachsenen – sehr wohl ein zeitanteiliger Entlastungsbetrag – sei nicht nachvollziehbar und benachteilige die verheirateten Steuerpflichtigen, die getrennt leben. Der mögliche Splittingtarif, der gerade bei getrennt Lebenden häufig nicht gewählt werde, sondern die Einzelveranlagung, sei nicht geeignet und insbesondere nicht dazu bestimmt, Mehrkosten des Alleinlebens zu kompensieren.
Die Unterscheidung bei der zeitanteiligen Gewährung des Entlastungsbetrags zwischen dem Jahr des Beginns des Alleinerziehens – kein Entlastungsbetrag – sowie des Jahres des Endes des Allein-Erziehens – Entlastungsbetrag zeitanteilig – sowie die Ausnahme alleinerziehend wegen Todes des Ehepartners – zeitanteiliger Entlastungsbetrag – stelle eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Alleinerziehenden dar.
Der Steuerpflichtige wende weder das Splittingverfahren noch irgendein anderes Verfahren an. Die Anwendung des Splittingverfahrens werde vom Finanzamt durchgeführt. Dabei habe das Finanzamt keinerlei Ermessen bei der Anwendung. Wenn nur ein Steuerpflichtiger den Antrag auf Einzelveranlagung wähle, lägen die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingverfahrens durch das Finanzamt nicht mehr vor. Der Gesetzeswortlaut stelle nicht darauf ab, ob die Voraussetzungen für die Wahl der Zusammenveranlagung vorlägen, sondern darauf, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingverfahrens vorlägen. Der Gesetzgeber habe zudem durch § 24b Abs. 4 EStG zu erkennen gegeben, dass der Entlastungsbetrag zeitanteilig zu gewähren sei.
Es könne zum Beispiel eine Hochzeit und Einzug am 30. Dezember kein Kriterium sein, für die vorangegangenen 363 Tage des Veranlagungsjahres den Entlastungsbetrag auszuschließen. Dies werde dem besonderen Schutz von Ehe und Familie nicht annähernd gerecht, insbesondere dann, wenn gleichzeitig bei Einzug ohne Hochzeit der zeitanteilige Entlastungsbetrag gewährt werde.
Welche Entscheidungsgründe waren ausschlaggebend?
Während das Finanzamt das Begehren des Steuerpflichtigen mit der Begründung ablehnt, dass eine zeitanteilige Gewährung des Entlastungsbetrags wegen des systematischen Zusammenspiels der § 24b Abs. 3 Satz 1 EStG und § 26 Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht in Betracht käme und die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 EStG entweder nur für den gesamten Veranlagungszeitraum vorlägen oder aber überhaupt nicht, gab das Gericht der Klage statt: Nach Ansicht des Gerichtes, seien die gesetzlichen Voraussetzungen für die zeitanteilige Gewährung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende nach § 24b EStG in Höhe von 1.432 € erfüllt, da erstens die Haushaltszugehörigkeit der beiden minderjährigen Kinder des Klägers unstreitig sei und zweitens er im Jahr 2017 seit dem 01. Mai 2017 auch ”alleinstehend“ sei.
Nach der Legaldefinition sei ein Steuerpflichtiger alleinstehend, wenn er nicht die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens (§ 26 Abs. 1) erfüllt oder verwitwet ist und nicht in Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person lebt (Ausnahme: Personen, die bei ihm steuerlich als Kind berücksichtigt werden).
Streitig ist, ob der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nur denjenigen zugute kommen soll, für die das Wahlrecht des § 26 Abs. 1 EStG nicht in Betracht kommt oder ob der Entlastungsbetrag bereits dann Anwendung finden sollte, wenn der Steuerpflichtige sich gegen eine Zusammenveranlagung, bei der der Splittingtarif anzuwenden ist, entschieden hat.
Zwei Revisionsverfahren anhängig
Revisionsverfahren 1) Urteil des FG München v. 27.11.2019 – 9 K 3275/18
Da das Finanzgericht die Revision nicht zugelassen hatte, haben die Kläger Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und damit Erfolg gehabt. In dem Verfahren III R 57/20 muss der BFH nun die Frage klären, ob die seit Dezember 2015 verheirateten Kläger, trotz der Wahl der Zusammenveranlagung nach § 26b EStG jeweils den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende in Anspruch nehmen können.
Revisionsverfahren 2) Urteil des Niedersächsischen FG v. 18.2.2020 – 13 K 182/19
Da die Frage, ob bereits bei der Möglichkeit der Ausübung des Wahlrechts i. S. des § 26 Abs. 1 EStG die Gewährung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende gem. § 24b EStG ausgeschlossen ist, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, hat das Finanzgericht die Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen. Diese wurde vom Finanzamt auch eingelegt und wird beim BFH unter dem Az. III R 17/20 geführt.
Fazit und Leseempfehlung
Der Entlastungbetrag für Alleinerziehende von 1.908 € erhöht sich für die Jahre 2020 und 2021 jeweils um 2.100 € und beträgt somit 4.008 €. Mit dieser Erhöhung soll den eingeschränkten Betreuungsmöglichkeiten für Kinder in Zeiten der Corona-Pandemie und den für Alleinerziehende damit verbundenen besonderen Herausforderungen Rechnung getragen werden. Bitte sprechen Sie uns rechtzeitig an, wenn sich Ihre Familienverhältnisse ändern, damit wir für Sie etwaige Ansprüche geltend machen können. Lesen Sie hierzu unsere beiden Grundlagenbeiträge
- Kinder
- Bin ich in der richtigen Steuerklasse?
- Entlastungsbetrag für Alleinerziehende
Bildnachweis / Literaturhinweis:
Bild von Cheryl Holt auf Pixabay
Entlastungsbetrag für Alleinerziehende im Jahr der Trennung oder Heirat (2 Revisionsverfahren vor dem BFH), Georg Schmitt in NWB NR. 19 v. 15.05.2021, S. 1360
BMF-Schreiben vom 23. Oktober 2017, BStBl I 2017, 1432, Rn. 6, 25
FG München, Urteil vom 27.11.2019 – 9 K 3275/18 zu EStG § 24b, § 26 Abs. 1, EFG 2021, 278, (NWB Dok QAAAH-73842)
Niedersächsisches FG, Urteil vom 18.02.2020 – 13 K 182/19 zu EStG § 24b EStG, § 26a EStG, (NWB-Dok PAAAH-57570).